
Venedig, 1979 | © Hildegard Ochse
Die Serie »Venezia ‘79« entstand während eines Besuchs der Ausstellung »Venezia ‘79 la Fotografia« im Sommer 1979. Wie viele Künstler:innen und Fotograf:innen vor ihr, wurde Hildegard Ochse von der Stadtlandschaft der Lagunenstadt nahezu magisch angezogen.
Zu den frühen Fotografen, die Venedig festhielten, zählt der Italiener Carlo Naya (1816–1882) einer der bedeutendsten Reise- und Architekturfotografen des 19. Jahrhunderts, der durch seine Ansichten der Wasserstadt Bekanntheit erlangte.
Hildegard Ochses Fotografien zeigen eine Stadt, die sich im ständigen Verfall befindet – ihre Bilder wirken dabei fast wie Piktorialfotografien. Auf ihren Aufnahmen bröckelt es an nahezu jeder Fassade: freigelegte Ziegelmauern, abgeplatzte Farbe, der verblasste Glanz einer alten Stadt, der sich im Staub der Jahrhunderte sammelt.
Sie zeigt ein fast menschenleeres Venedig mit dunklen, lichtarmen Kanälen – und macht darin den »Tod in Venedig« förmlich spürbar.

Venedig, 1979 | © Hildegard Ochse
Die Aufnahmen entstanden unter dem Eindruck der bis dato größten Fotoausstellung Europas, »Venezia ’79 la Fotografia«, auf der Werke berühmter Fotografen gezeigt wurden. Zu sehen waren Arbeiten von Alfred Stieglitz (1864–1946), Henri Cartier-Bresson (1908–2004), Robert Frank (1924–2019), Weegee (1899–1968), Lewis Hine (1874–1940) und Eugène Atget (1857–1927) sowie weitere herausragende Werke internationaler Fotograf:innen.
Hier sah Hildegard Ochse erstmals Polaroids als künstlerische Fotografie sowie Farbfotografien von *William Eggleston (1939) und André Gelpke (*1947). Die Frage, ob Fotografie eine Kunst sei – oder jemals eine sein könne –, war auch 1979 noch ein viel diskutiertes Thema.

Venedig, 1979 | © Hildegard Ochse
Ein Hauptmerkmal der piktorialistischen Fotografie ist der Versuch, mit fotografischen Mitteln eine dem Gemälde ähnliche Bildwirkung zu erzielen. Trotz aller Kritik an diesem Stil war es gerade der Piktorialismus, der die Fotografie erstmals als Kunstform etablierte.
Zu den bekanntesten Vertreter:innen zählen Heinrich Kühn (1866–1944), Gertrude Käsebier (1852–1934), Frank Eugene (1865–1936), Edward Steichen (1879–1973) sowie Alfred Stieglitz (1864–1946) – deren Werke teilweise in Venedig präsentiert wurden.

Venedig, 1979 | © Hildegard Ochse
Für Hildegard Ochse bedeutete der Besuch eine Bestätigung ihres eingeschlagenen Weges als Autorenfotografin. Durch die groß angelegte Ausstellung erhielt die Fotografie in Europa einen neuen Stellenwert: Sie war nicht länger nur ein dokumentarisches Medium, sondern wurde zunehmend auch als eigenständige Kunstgattung in der breiten Öffentlichkeit wahrgenommen.
In der Folge begannen europäische Museen erstmals, die Fotografie als Kunstform zu entdecken und eigene Sammlungen aufzubauen.
Einen interessanten Beitrag von Lyle Rexer zu der Ausstellung »Venezia79« findet sich auf dem Webblog von Aperture: On Venice ’79