Kreuzberg – Amerika
Thomas Weski am 10. Dezember 2016
Sehr geehrte Damen und Herren,
meine kurze Rede möchte ich mit einem Dank beginnen – an die teilnehmenden Fotografinnen und Fotografen, an die Förder- und Leihgeber der Ausstellung, sowie an Stephan Erfurt und das Team von C/O Berlin, das ich in den letzten Tagen sehr schätzen gelernt habe. Felix Hoffmann, auch dir vielen Dank. Wir haben zusammen die Ausstellung hier in Berlin bearbeitet und ich möchte mich für die Gastfreundschaft, denn ich bin ja hier zu Gast, herzlich bedanken.
Das 40-jährige Jubiläum, der vom berliner Fotografen Michael Schmidt gegründeten Werkstatt für Fotografie ist der Anlass für unser Ausstellungsprojekt. Für mich ist dieses Ausstellungsprojekt ein Schritt in Richtung Retrospektive für Michael Schmidt, die hier in Berlin 2020 stattfinden wird, und nicht alle Aspekte seines Werkes natürlich berücksichtigen kann, deswegen dieser Teil jetzt:
Wie sehr die Werkstatt mit ihrem 2014 verstorbenen Gründer in Verbindung gebracht wird, zeigt der Nachruf von Frank Walter Steinmeier, in dem er nicht nur von dem Verlust eines bedeutenden Künstlers, sondern auch großartigen Lehrers spricht, dessen zivilgesellschaftliches Engagement beispielgebend ist.
Während in den Ausstellungen in Essen und Hannover der Begriff der Werkstatt metaphorisch verstanden wird, also für den Aufbruch der künstlerischen Fotografie der damaligen Zeit steht, geht es hier im berliner Ausstellungsteil konkret um die Werkstatt für Fotografie und ihr markantes Alleinstellungsmerkmal des Austauschs mit zeitgenössischer amerikanischer Fotografie, daher der Titel unseres Ausstellungsteils: Kreuzberg-Amerika.
Die Werkstatt für Fotografie wurde am 13. September 1976, also vor 40 Jahren und einigen Tagen, in der Friedrichstraße 210 eröffnet, direkt am Checkpoint Charlie an der Mauer gelegen. Die Idee dazu hatte der Berliner Fotograf Michael Schmidt.
Neben ihm als Gründer war Ulrich Görlich von Anfang an dabei. Wenig später folgten mit Wilmar Koenig und Klaus-Peter Voutta weitere junge Dozenten. Alle waren fotografische Autodidakten. Die Werkstatt war von Anfang an eine Erfolgsgeschichte: Sie stand jedem offen, hatte also keine Zugangsbeschränkung und bot ein mehrstufiges Kurssystem an, das in mehreren Jahren zu den Kompetenzen eines ausgebildeten Fotografen führen sollte. Einen formalen Abschluss gab es allerdings nicht.
Ein derartiges Angebot war nicht nur in Berlin sondern auch in Westdeutschland einzigartig. Der Andrang war so groß, dass es eine Warteliste mit über 300 Interessenten – Arbeiter, Angestellte, Rentner, Studenten – gab. In der Werkstatt wurden Grundkurse in Schwarz-Weiß- und Farbfotografie aber auch Hauptkurse angeboten, und zwar im Kontext der Erwachsenenbildung, und das war neu, denn in denen ging es um die Inhalte und eine persönliche Form der Fotografie, die entwickelt werden sollte.
Hier spielten die Bildbesprechungen der Teilnehmer eine wesentliche Rolle – Am Eingang, das haben Sie alle passiert zur Ausstellung, können Sie eine typische Unterrichtsszene aus der Anfangszeit an dem Großfoto von Wolfgang Eilmes sehen, dem wir zusammen mit Friedhelm Denkeler viele visuelle Dokumente der Werkstatt verdanken. In der Werkstatt fanden aber auch Ausstellungen, Vorträge und Workshops statt.
In Zusammenarbeit mit dem damaligen Programmleiter des Amerika Hauses, Jörg Ludwig, wurden amerikanische Fotografen eingeladen. Viele von ihnen hatte Allan Porter, der amerikanische Chefredakteur der schweizer Fachzeitschrift Camera bereits publiziert, aber ihre Bilder hatte man in Deutschland noch nicht gesehen. Die eingeladenen amerikanischen Fotografen hatten in der Werkstatt so oft ihre erste Einzelausstellung in Deutschland, manchmal sogar in Europa. Und wenn man heute die Bilder hier bei 50 Lux sieht, dann kann man sich nicht vorstellen, dass die in der Werkstatt auf einem ganz normalen Flur hingen, mit Neonbeleuchtung, und davor fand der Unterricht statt. Mit Hilfe des Amerika Hauses konnten die amerikanischen Fotografen anreisen, lehren und einige, wie William Eggleston, Larry Fink oder John Gossage fotografierten hier auch. Dieses anspruchsvolle Angebot sprach sich schnell in der westdeutschen Fotografenszene herum und so reisten zu den Veranstaltungen viele junge Fotografinnen und Fotografen an.
Dass man hier als Gast der Werkstatt mit den amerikanischen Fotografen direkt ins Gespräch kommen, ihre und eigene Bilder disputieren konnte, machte die Werkstatt für meine Generation zu einem prägenden Ort, wurde doch hier eine leidenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Medium geführt und ein möglicher Weg in eine künstlerische Tätigkeit vorgelebt.
In der Werkstatt wechselten sich so Ausstellungen von heute sehr renommierten Fotografinnen und Fotografen mit denen von Hörern und Dozenten ab, so waren auf Ausstellungen amerikanische Fotografen, wie Diane Arbus, Robert Adams, Lewis Baltz, William Eggleston, oder John Gossage, Gruppenausstellungen von Dozenten und Hörern, Einzelausstellungen von Wilmar Koenig mit Jürgen Frisch, Thomas Leuner, Friedhelm Denkeler, Gosbert Adler und Hermann Stamm zu sehen und mussten in diesem Wettbewerb bestehen. Die Auseinandersetzung mit der zeitgenössischen Fotografie hatte Michael Schmidt zur Werkstattgründung eingefordert und erste Kontakte hergestellt. Wilmar Koenig hat dann dieses Programm wesentlich gestaltet. Spaßeshalber, das hört er nicht gern, wurde er dann „Außenminister“ genannt. Neben den Ausstellungen rundeten Vorträge das Programm ab: Fotografen wie André Gelpke oder Wilhelm Schürmann waren hier genauso zu Gast wie Kuratoren, wie Ute Eskildsen von Essener Folkwang Museum oder Klaus Honnef, der bereits 1978 in seinem Vortrag seine Definition des Autorenfotografen vorstellte, die sich mit dem fotografischen Konzept der Werkstatt, also dem eines persönlichen Zugangs für Wirklichkeit mit den Mitteln einer dokumentarischen Fotografie, deckte.
Die Werkstatt hatte in ihrem 10-jährigen Bestehen keinen hauptamtlichen Leiter. Michael Schmidt gab 1977 die Leitung ab, unterrichtete aber noch einige Jahre, bis er sich auf seine künstlerische Arbeit konzentrierte.
Als Leiter folgten ihm Ulrich Görlich, Wilmar Koenig, Klaus-Peter Voutta, sowie Gosbert Adler, Thomas Leuner und Hermann Stamm als Team.
Frühere Hörer, wie Ursula Kelm oder Friedhelm Denkeler wurden Dozenten und Gabriele Franziska Götz, die kurz nach Beginn der Werkstatt fast die komplette grafische Gestaltung der Drucksachen, wie Einladungen, Plakate und Kataloge übernommen hatte, unterrichtete auch die Präsentation von Fotografien in Buch- und Ausstellungsform, und das gab es sonst nirgends.
Sie gestaltete auch Bücher für Michael Schmidt, Lewis Baltz, John Gossage, die in Berlin gedruckt und hier gestaltet wurden.
Baltz und Gossage stellten 1984 wiederum Werkstattfotografen in den USA aus und so verlief der Austausch zwischen Kreuzberg und Amerika durchaus in beide Richtungen. Und auch der Kontakt nach Österreich vertiefte sich, hier im Besonderen nach Graz, wo das Team um Christine Frisinghelli und Manfred Willmann von Camera Austria internationale Fotografie im Rahmen des Steirischen Herbstes durchführten und regelmäßig mit der Werkstatt kooperierten. Viele amerikanische Fotografen waren in der Folge in Graz und Berlin anzutreffen.
Die Werkstatt war ein Ort kultureller Produktion und zugleich ein von persönlichen Engagement und Leidenschaft getragener „Ermöglichungsraum“. Die Selbstermächtigung der Akteure bestand darin, dass fast jeder von ihnen in dem Bereich, in dem sie tätig waren Autodidakt war, sie aber fotografierten, lehrten, kuratierten, schrieben und veröffentlichten und sich beim Machen professionalisierten. Ein profaner Wechsel der Direktorenschaft der Volkshochschule Kreuzberg und eine damit verbundene neue Schwerpunktsetzung führte dazu, dass die Autonomie der Werkstatt aufgelöst, der Etat gesengt, und die Ausstellungstätigkeit nur noch eingeschränkt stattfinden sollte. Diesem Ende auf Raten kamen die Dozenten zuvor und schlossen die Werkstatt 1986 in einem solidarischen Akt.
Die Akteure kehrten in ihre Berufe zurück, beendeten ihre Studien, einige verfolgen ihre persönliche Fotografie bis heute, andere haben sich professionalisiert, sind heute angesehene Fotografinnen und Fotografen, lehren als Professorinnen und Professoren. In den 10 Jahren ihrer Existenz fanden in der Werkstatt 48 Ausstellungen, 28 Workshops und unzählige Kurse mit geschätzten 2.500 Hörern statt.
Unsere Ausstellung zeigt also nur die Spitze des Eisbergs. Es ist zu wünschen, dass andere diesen Anfang weiterführen und die Werkstatt für Fotografie, dieses einzigartige Projekt in der deutschen Nachkriegsfotografie, weiter erforschen. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Thomas Weski, 1953 in Hannover geboren, war u.a. Kurator am Haus der Kunst in München, Museum Ludwigin Köln und ist seit Oktober 2015 Kurator der Stiftung für Fotografie und Medienkunst mit Archiv Michael Schmidt in Berlin.